Der Tonnentritt von Klinsmann in 1994
Jürgen Klinsmann und seine Ehe mit dem FC Bayern München – es war von Beginn an eine verfahrene Kiste. Rückblick zur WM 1994. Klinsmann, gerade beim AS Monaco von Trainer Arsene Wenger ausgemustert, sucht das Gespräch mit Franz Beckenbauer, will nach München. Der „Kaiser” meidet eine offizielle Antwort – und Klinsmann heuert in England bei Tottenham an.
Ein Jahr später wird Otto Rehhagel Trainer in München. Und präsentiert den Bayern-Machern seine Wunschliste. Auf Platz eins: Jürgen Klinsmann, der in England gerade zum Fußballer des Jahres gewählte Kapitän der deutschen Nationalelf.
Die Verhandlungen, von Klinsmann-Anwalt Andre Groß geführt, gestalten sich schwierig. „Mein Härtefall”, sagt Manager Uli Hoeneß später. Nicht nur, dass Klinsmann eine Stammplatzgarantie fordert, die er natürlich nicht bekommt. Es geht um die Ablösung seines Schuh- Vertrages mit der amerikanischen Firma Reebok, weil Bayern in „adidas”-Schuhen spielt. Es geht um Handgeld und Gehalt und (als Krönung) um eine Beteiligung am Verkauf des Klinsmann-Trikots. Erstmals stehen die Spieler-Namen auf den Trikots, erstmals erhält jeder Spieler eine fest vergebene Nummer für die ganze Saison. Klinsmann wählt die Nummer 18 – und verdient sich allein dadurch eine goldene Nase. Nach wochenlangen zähen Verhandlungen wird der Deal perfekt. Klinsmann dankt es seinem Förderer Otto Rehhagel, indem er an dessen Ablösung nur ein Jahr später nicht gerade unbeteiligt ist.
Obwohl Bayern mit Rehhagel ins UEFA- Cup-Finale einzieht (und den Titel mit Teamchef Beckenbauer gewinnt), obwohl die Münchner bis zum letzten Spieltag um die Meisterschaft kämpfen (und sie schließlich an Dortmund verlieren), muss Rehhagel gehen. Und als Klinsmann die deutsche Elf in Wembley zum Gewinn der Europameisterschaft führt, liegt er anschließend im Entmüdungsbecken und singt Haß-Tiraden gegen Otto Rehhagel…
Bayern holt Giovanni Trapattoni zurück aus Italien. Den Meister des Abwehrriegels, den Klinsmann schon aus gemeinsamen Zeiten bei Inter Mailand bestens kennt (und nicht gerade mag). Mit Trap holt Bayern 96/97 auch die Meisterschale zurück an die Isar. Aber der Bruch mit Klinsmann war schon vorher besiegelt. Vor der EM (und nach der Entlassung von Rehhagel) setzt der Stürmer rigoros eine Vertragsänderung durch. Verkürzt seinen Kontrakt von drei auf zwei Jahre, lässt sich die festgeschriebene Ablösesumme streichen und droht mit einem vorzeitigen Abgang. Um den Eklat zu verhindern, stimmen die Bayern-Bosse zähneknirschend zu. Was Trapattoni aber nicht daran hinderte, Klinsmann in schöner Regelmäßigkeit auszuwechseln. Bis zum 10. Mai, dem Heimspiel gegen Schlusslicht SC Freiburg, war das schon elfmal passiert. Und dann dieser ganz spektakuläre Abgang …
63.000 Zuschauer im Olympiastadion und Millionen vor den TV-Geräten zu Hause werden Augenzeuge, wie Klinsmann explodiert, mit seinem rechten Fuß in die Werbetonne eines Batterie- Herstellers tritt, die neben der Trainerbank aufgestellt ist. Wie das Sperrholz splittert und sich der ganze aufgestaute Frust entlädt.
Passiert ist folgendes: Die 80. Minute. Spielstand noch immer 0:0. Trapattoni hatte 15 Minuten zuvor mit Carsten Jancker einen dritten Stürmer eingewechselt. Jetzt tauscht er Klinsmann gegen den Amateur Carsten Lakies. Und das bringt den Nationalstürmer zur Weißglut. Er schimpft lautstark, tritt zu, symbolisiert mit beiden Armen die Sense, was unzweideutig nur heißen kann: Schluss, aus, Ende. Der öffentliche Bruch mit Trap, der ultimative Eklat. 15 Minuten später gibt Klinsmann, unter der Dusche sichtlich abgekühlt, seine persönliche Pressekonferenz. Und ist plötzlich ganz zahm: „Der Trainer und ich hatten eine Meinungsverschiedenheit. Die Konsequenz war, dass ich ausgewechselt wurde. Was dann passierte, war eine Überreaktion, die einem Spieler wie mir nicht passieren darf. Die Nerven sind mit mir Gassi gegangen. Es war ein Riesenfehler, eine Dummheit.
So was gehört sich nicht. Ich habe mich beim Trainer bereits entschuldigt. Und er hat die Entschuldigung angenommen.”
Die angedeutete Meinungsverschiedenheit mit Trap – erst so kam heraus, was zwischen Trainer und Star wirklich passierte. Klinsmann hatte sich einfach den Anweisungen des Chefs widersetzt. Als Trap nämlich den dritten Stürmer einwechselte, beorderte er Rizzitelli nach rechts und Klinsmann nach links. Doch Klinsmann ignorierte provokativ die lautstarken Anweisungen von der Trainerbank. Noch kurz vor seiner Auswechslung lieferte ersieh einen heftigen Disput mit seinem Coach. Als er sich noch einmal verweigerte, holte der Trainer den starrsinnigen Schwaben schließlich vom Platz. Die logische Konsequenz. Kein Trainer der Welt kann es sich gefallen lassen, wenn seine Anordnungen nicht befolgt werden. Der Trainer später, noch immer sichtlich in Rage: „Ich bin nicht der liebe Gott, aber immerhin schon 20 Jahre auf der Bank. Und ich habe schon ganz andere Spieler ausgewechselt.”
Der Tonnentritt von Klinsmann: Dieser 10. Mai ist der Tag, an dem Klinsmann, der Kapitän der DFB-Auswahl, endgültig sein Strahlemann-Image verliert. Gewinner war die japanische Firma Sanyo. Noch nie hatte ihre Werbetonne eine so große Aufmerksamkeit erlangt wie diesmal. Motoi Matsuuma, Marketing-Leiter Deutschland des japanischen Konzerns, rieb sich am nächsten Montag vergnügt die Hände. Seine, wenn auch lädierte, Tonne war in allen deutschen Gazetten das Blickfang-Foto. Zum Dank schickte er Werbehelfer Klinsmann einen Präsentkorb seiner Firma – gefüllt mit einem Sortiment Batterien.